AUS FERNER VERGANGENHEIT

Am nächsten Morgen erwachte Eragon erfrischt und ausgeruht. Er klopfte gegen Saphiras Bauch und sie hob den Flügel und ließ ihn darunter hervorkriechen. Er fuhr sich durchs Haar, ging zur Landeöffnung in der Wand und schaute hinaus. Im Morgenlicht ließ der Tau auf den Bäumen den Wald unter ihm funkeln wie ein schillerndes Diamantenfeld.
Er schrak zusammen, als Saphira an ihm vorbeistürmte und ins Freie hinaushechtete. Freudig juchzend stieg sie in die Höhe und kreiste über Eragon am Himmel. Guten Morgen, Kleiner! Eragon lächelte, glücklich, weil sie glücklich war.
Er zog die Schiebetür zum Schlafzimmer zurück. An der Falltür hatte ihnen jemand zwei Teller mit Früchten und Gebäck hingestellt. Daneben lagen ein Kleiderbündel und ein kleiner Zettel. Eragon hatte Schwierigkeiten, die verschnörkelte Schrift zu entziffern; seit über einem Monat hatte er nun schon nicht mehr gelesen und der eine oder andere Buchstabe war ihm entfallen. Nach einigen Mühen verstand er schließlich den Inhalt:
 
Seid gegrüßt, Saphira Bjartskular und Eragon Schattentöter!
 
Ich, Bellaen aus dem Hause Miolandra, bitte dich, Saphira, untertänigst um Vergebung für dieses karge Frühstück. Elfen jagen nicht und deshalb gibt es in Ellesméra und den anderen Elfenstädten kein Fleisch. Es sei dir jedoch gerne gestattet, dich wie die Drachen alter Zeiten an dem gütlich zu tun, was du im Wald erlegst. Wir bitten dich bloß darum, deine Beute an Ort und Stelle zu verzehren, damit unsere Luft und unser Wasser nicht mit Blut befleckt werden.
Eragon, die Kleidung ist ein Geschenk für dich, gewebt von Niduen aus dem Hause Islanzadis.
Möge das Glück euch hold sein,
Möget ihr Frieden im Herzen tragen,
Mögen die Sterne über euch wachen.
Bellaen du Hljödhr

 

Als Eragon Saphira erzählte, was auf dem Zettel stand, sagte sie großmütig: Das macht mir nichts aus. Nach dem gestrigen Festmahl brauche ich sowieso erst mal nichts zu essen. Trotzdem verschlang sie ein paar Kümmelkuchen. Nur um nicht unhöflich zu erscheinen, erklärte sie.

Nach dem Frühstück legte Eragon das Kleiderbündel aufs Bett und öffnete es behutsam. Er fand zwei lange rostfarbene Wämser mit fingerhutgrünen Borten, milchfarbene Beinlinge und drei Paar Strümpfe, die sich in seinen Händen weich wie Wasser anfühlten. Neben diesen Stoffen nahm sich die Webkunst der Frauen von Carvahall bescheiden aus, ebenso wie die der Zwerge, von denen er seine momentane Kleidung erhalten hatte.
Eragon kamen die neuen Gewänder gerade recht. Sein altes Wams und seine Kniehose waren von der langen Reise völlig zerschlissen. Er zog sich aus und legte eines der prächtigen Wämser an, um sich an dem weichen, anschmiegsamen Stoff zu erfreuen.
Er hatte sich gerade die Stiefel geschnürt, als jemand an die Schiebetür klopfte. »Herein«, rief Eragon und griff nach dem Schwert.
Orik steckte den Kopf ins Schlafzimmer und trat dann vorsichtig ein, wobei er mit jedem Schritt behutsam die Festigkeit des Bodens prüfte. Er musterte die Zimmerdecke. »Ich würde jeder Höhle den Vorzug vor so einem Vogelnest geben. Hattet ihr beiden eine angenehme Nacht?«
»Ich habe geschlafen wie ein Murmeltier. Und du?«, erkundigte sich Eragon.
»Wie ein Stein.« Der Zwerg schmunzelte über seinen Wortwitz. Dann schaute er zu Boden und fingerte am Griff seiner Axt herum. »Wenn du fertig gefrühstückt hast, solltest du mit runterkommen. Arya, die Königin und ein paar andere Elfen warten unten auf dich.« Er sah Eragon unruhig an. »Da geht irgendetwas vor, wovon sie uns nichts erzählt haben. Ich bin mir nicht sicher, was sie von dir wollen, aber es scheint wichtig zu sein. Islanzadi ist gereizt wie ein in die Enge getriebener Wolf … Ich dachte, ich warne dich besser.«
Eragon dankte Orik, dann stiegen sie die Wendeltreppe hinab, während Saphira im Gleitflug nach unten segelte. Am Fuß des Baumes erwartete sie Islanzadi. Die Elfenkönigin trug einen Mantel aus Schwanenfedern, in dem sie aussah wie ein eingeschneites Rotkehlchen. Sie begrüßte Eragon und Orik und sagte: »Folgt mir!«
Die Königin führte die kleine Gruppe an den Rand von Ellesméra, wo nur vereinzelte Häuser standen und man die verschlungenen, selten betretenen Pfade kaum noch erkannte. Am Fuß einer bewaldeten Anhöhe blieb die Königin stehen und erklärte mit erschreckend ernster Stimme: »Bevor wir auch nur einen Schritt weitergehen, müsst ihr drei in der alten Sprache geloben, dass ihr mit niemandem über das sprecht, was ihr gleich sehen werdet - nicht ohne meine Erlaubnis oder die meiner Tochter oder eines anderen elfischen Würdenträgers.«
»Warum soll ich mir denn einen Maulkorb verpassen lassen?«, protestierte Orik.
Ja, warum?, fragte Saphira die Königin. Traut Ihr uns nicht?
»Es ist keine Frage des Vertrauens, sondern eine der Sicherheit. Wir müssen das Wissen, um das es hier geht, um jeden Preis schützen. Es ist unser wichtigster Vorteil im Kampf gegen Galbatorix. Wenn ihr durch die alte Sprache an euren Schwur gebunden seid, werdet ihr unser Geheimnis niemals willentlich verraten. Du bist gekommen, um Eragons Ausbildung zu begleiten, Orik-Vodhr. Wenn du mir nicht dein Wort gibst, kannst du auf der Stelle nach Farthen Dûr zurückkehren.«
Nach kurzem Zögern erklärte Orik widerstrebend: »Ich glaube nicht, dass Ihr den Zwergen und Varden etwas Böses wollt - ansonsten würde ich dieser Bedingung niemals zustimmen. Ich gehe davon aus, dass ich Euer Ehrenwort habe, dass es keine List ist, mit der Ihr uns zu täuschen versucht. Was soll ich also sagen?«
Während Islanzadi dem Zwerg die richtige Aussprache des Satzes erklärte, fragte Eragon Saphira: Soll ich ihr auch das Versprechen geben?
Haben wir eine Wahl? Eragon fiel ein, dass Arya gestern etwas Ähnliches gesagt hatte, und langsam schwante ihm, was sie damit meinte: Die Königin erlaubte keinen Spielraum zum Taktieren.
Als Orik den Schwur gesprochen hatte, wandte Islanzadi sich mit erwartungsvollem Blick zu Eragon. Nach kurzem Zögern gab auch er sein Versprechen und Saphira tat es ihm nach. »Seid bedankt«, sagte Islanzadi. »Jetzt können wir weitergehen.«
Auf dem höchsten Punkt der Anhöhe wichen die Bäume einem saftigen Kleefeld, über das sie zum Rand einer zerklüfteten Felswand schritten. Sie erstreckte sich in beide Richtungen über mehrere Meilen und fiel rund tausend Fuß zum darunter liegenden Wald ab. Eragon kam es vor, als stünden sie am Rand der Welt, während sie über die endlosen grünen Weiten hinwegblickten.
Ich kenne diesen Ort, durchfuhr es Eragon. Er war ihm in seiner Vision mit Togira Ikonoka erschienen.
Ffffph. Die Erschütterung ließ die Luft erzittern. Ffffph. Eragons Zähne klapperten von der Wucht des zweiten dumpfen Schlags. Ffffph. Die Druckwellen ließen seine Trommelfelle so schmerzhaft vibrieren, dass er sich die Ohren zuhalten musste. Die Elfen standen regungslos da. Ffffph. Eine plötzliche Windbö drückte den Klee zu Boden.
Ffffph. Über dem Felsmassiv kam ein riesiger goldener Drache in Sicht, auf dessen Rücken ein Reiter saß.

 

 

Der Auftrag des Aeltesten
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